Star-Moderator John Oliver beschuldigt den preisgekrönten Blogger sms;) des Mordes an Journalisten. Eine Verteidigung @LastWeekTonight @laStaempfli

(Nein. Dieser Text ist nicht zur Ueber­nahme in Massen­me­di­en autorisiert.)

Guten Tag, Herr Oliv­er.

Mein Englisch ist nicht sehr gut. Darum schreibe ich Ihnen auf deutsch. Hier in meinem Zettelka­s­ten (Blog | dissent.is). Ich wollte danach den Text von Google über­set­zen lassen und den Text auf medium.com able­gen. Ihnen hätte ich dann den Link via Twit­ter geschickt. Die Ueber­set­zung war aber so schlecht, dass ich es bleiben liess. Ich habe dann gese­hen, dass Com­e­dy Cen­tral ja auch Ableger in Europa hat. Vielle­icht über­set­zt es Ihnen ja jemand? Wie auch immer:

Frau Dr. Reg­u­la Stämpfli — eine massen­medi­al bekan­nte Poli­tolo­gin aus München mit vie­len Auftrit­ten und Vorträ­gen quer durch Europa — hat mich via Face­book  aufge­fordert, ein inter­es­santes Video von Ihnen anzuschauen. Wir hat­ten kür­zlich im Pod­cast #1968kritik eine heftige Auseinan­der­set­zung zum The­ma Jour­nal­is­mus. Ich habe Ihr Video — eher wider­willig — angeschaut:

Bei Minute 15 schauen Sie mir direkt ins Gesicht. Mit dem Fin­ger zeigen Sie auf mich. Dass ich Ihr Video auf Ihrem eige­nen Youtube-Chan­nel anschaue, wussten Sie. Sie haben in Ihrer TV-Show alles gut geplant. Und nun sagen Sie mir ins Gesicht, dass ich Jour­nal­is­ten umbrin­gen würde. Zudem benützen Sie sehr oft das nicht nur in Ameri­ka beliebte F‑Wort. Und immer mal wieder zeigen Sie mir den Stinkefin­ger.

Nach schweiz­erischem Recht kön­nte ich Sie wegen Beschimp­fung, übler Nachrede und Ver­leum­dung ankla­gen.

Ich habe bei Wikipedia gele­sen, dass Sie ein Come­di­an sind. Während Sie mir diese schw­eren Vor­würfe machen, lachen Sie. Ich darf also davon aus­ge­hen, dass Sie gar nicht meinen, was Sie sagen. Das beruhigt mich. Zunächst. Die Pub­likums­beschimp­fung hat aber im deutschsprachi­gen Raum eine (für mich) wichtige Tra­di­tion. Das macht die Inter­pre­ta­tion schwieriger. Zudem: Ich weiss nicht, ob Sie vor Pub­likum im Stu­dio Ihre Auf­nah­men machen. Vielle­icht lassen Sie die Lach­er aus dem Pub­likum auch bloss ein­spie­len. Der zus­tim­mende Applaus wäre dann eine von Ihnen insze­nierte Aktion. Kurzum: Es ist ausseror­dentlich schw­er zu inter­pretieren, was Sie wirk­lich meinen.

Herr Oliv­er, Sie sagen alles. Auch das Gegen­teil. Was jet­zt?

Wenn Sie sich als Jour­nal­is­ten beze­ich­nen, stimmt das gemäss Wikipedia auch nicht. Es gibt sich­er weit­ere solch irri­tierende Hin­weise. Sie wollen ver­wirren? Oder sind Sie sich bloss ganz sich­er, dass ihr The­ma “Jour­nal­is­mus” und “blöde Youtu­ber” 20 Minuten lang ein Pub­likum her­vor­ra­gend unter­hal­ten wird? Weltweit. Oder min­destens so weit die Englis­che Sprache reicht. So komme ich zu zwei weit­eren Punk­ten:

Das von Ihnen gesproch­ene Englisch ist für mich nicht sehr ein­fach. Ich ver­ste­he viele Wörter nicht. Ich ver­mute, Sie reden nicht für Men­schen wie mich. Sie haben ein Pub­likum mit höheren Ansprüchen. Ein intellek­tuelles Pub­likum. Das wäre ein erster Punkt. Ein zweit­er wäre, dass Sie für das Fernse­hen arbeit­en.

Fernse­hen, Radio, Zeitun­gen, Mag­a­zine, Büch­er haben eines gemein­sam: Sie erlauben es dem Zielpub­likum nicht, mit gle­ichen Mit­teln eine Reak­tion, eine Ent­geg­nung, eine Antwort zu geben. Darum fassen wir diese sehr speziellen Dis­tri­b­u­tion­skanäle von Infor­ma­tio­nen mit dem Begriff “Massen­me­di­en” zusam­men. Dieses Wort beze­ich­net damit auch eine ver­hält­nis­mäs­sig kurze Peri­ode der Verteilung von Infor­ma­tion in der Geschichte der Men­schen. Massen­me­di­en richt­en sich an Massen. Sie wollen eine ganz gezielte Reak­tion provozieren. Sie wollen keinen Diskurs. Und schon grad gar keinen Dia­log. Ganz im Gegen­teil. Sie wollen senden! Sie wollen Wirkung! Sie wollen Aufmerk­samkeit! Sie wollen Auss­chaltver­mei­dung! Sie wollen Manip­u­la­tion. Im deutschsprachi­gen Raum ist die Nutzung von Massen­me­di­en mit den wider­lich­sten men­schlichen Erfahrun­gen ver­bun­den. Hans Mag­nus Enzens­berg­er notierte 1970:

„In der heuti­gen Gestalt dienen Appa­rate wie das Fernse­hen oder der Film deswe­gen nicht der Kom­mu­nika­tion son­dern ihrer Ver­hin­derung. Sie lassen keine Wech­sel­wirkung zwis­chen Sender und Empfänger zu: tech­nisch gesprochen, reduzieren sie den feed­back auf das sys­temthe­o­retisch mögliche Min­i­mum.“

Sie richt­en sich also an ein intellek­tuelles Pub­likum in einem Massen­medi­um.

Obwohl es seit über 20 Jahren das Inter­net gibt. Und Sie erlauben sich, mir vorzuw­er­fen, dass ich Jour­nal­is­ten töte. Ob Sie erah­nen, wie abgrundtief hässlich diese Aus­sage ist, auch wenn sie diese gar nicht ernst meinen, son­dern bloss lustig? (Und weil ich Sie ernst nehme, mache ich mich schon wieder lächer­lich. Ich kön­nte ihrer Falle nur ent­ge­hen, wenn auch ich es lustig fände. Und Ihnen so meinen Applaus zukom­men liesse. 5 Mil­lio­nen Mal gelingt ihnen dies auf Youtube. Ganz lock­er. Bra­vo! Sie sind ein guter Manip­u­la­tor. Natür­lich für das Gute. (Was die meis­ten Dik­ta­toren von sich auch behaupten wür­den!)

Und falls es Ihnen darum gegan­gen wäre, präzis diesen meinen Punkt zu machen und Jour­nal­is­mus einen Spiegel vorzuhal­ten: Woran kön­nte ich erken­nen, dass sie es so gemeint haben? Gibt es irgend­wo in Ihrer Sendung eine Irri­ta­tion, welche ver­muten liesse, dass Sie tat­säch­lich eine fun­da­men­tale Medi­enkri­tik vol­lziehen wollen? Und wären Sie als “eine der ein­flussre­ich­sten Per­so­n­en der Welt” eine glaub­würdi­ge Instanz? Als Unter­hal­ter in einem Massen­medi­um? Im Jahr 2016?

Jour­nal­is­mus treibt ein hin­terlistiges, dop­pel­bödi­ges, per­fides Spiel. Seit vie­len Jahren. Jour­nal­is­mus sieht sich selb­st gerne auf der Seite der Intellek­tuellen. Europäis­che Staat­en finanzieren eigene Medi­enun­ternehmen. Sie recht­fer­ti­gen dies damit, dass auch Min­der­heit­en zu ihrer Stimme kom­men sollen. Das hat beim dom­i­nant wer­den dieser neuen Art und Weise der Ver­bre­itung von Infor­ma­tio­nen sich­er eine Berech­ti­gung gehabt. Heute wird sicht­bar: Allein in der kleinen Schweiz mit weni­gen Ein­wohnen­den gelingt es nicht, diesem Anspruch gerecht zu wer­den. Die Men­schen zeigen im Inter­net, wie vielfältig die Inter­essen sind. Die rasche Entwick­lung von Wikipedia in ein­er riesi­gen Aus­d­if­feren­zierung wäre dafür ein her­vor­ra­gen­des Beispiel. Aber:  Wenn Medi­enkri­tik real­isiert wird, tut Jour­nal­is­mus dies am lieb­sten unter sich. Die tech­nisch völ­lig verän­derten Bedin­gun­gen der Kom­mu­nika­tion wer­den als Bedro­hung erlebt und entsprechend kom­men­tiert. Wir nan­nten es: AIBS (Acquired Inter­net Bash­ing Syn­drom). Dabei hat das Inter­net zunächst ja lediglich ermöglicht, was im deutschsprachi­gen Raum unter dem Begriff “Gegenöf­fentlichkeit” so lange erwartet wurde.

Als junger Sozialar­beit­er habe ich ger­ade noch erlebt, wie es sich unter dem Dik­tat der Massen­me­di­en — ganz ohne Inter­net — lebte. Ich arbeit­ete beim Beruf­se­in­stieg in Bere­ichen der Dro­gen­hil­fe, Pros­ti­tu­tion, Migra­tion, Gefäng­nis. Zu den Zeit­en der “offe­nen Dro­gen­szenen”. Eine fürchter­liche Zeit. Es war so schwierig — eigentlich ganz unmöglich! — angemessene Berichter­stat­tun­gen in den Massen­me­di­en zu bekom­men, welche dif­feren­ziert, auch aus der Per­spek­tive der Betrof­fe­nen, die Prob­leme in gesellschaftlichen Zusam­men­hang zur Darstel­lung bracht­en. Ich meine auf der Front­seite. Als Schlagzeile. Ver­bre­it­et als “rel­e­vante” Infor­ma­tion. Wir haben mit den Betrof­fe­nen selb­st Zeitun­gen gebastelt und auf der Strasse verteilt. Sie kön­nen sich vorstellen, wie ernst solche Erzeug­nisse genom­men wur­den!

Jour­nal­is­mus erlebt, was viele Berufe erlebt haben. Die Bedin­gun­gen für ihr Tun verän­dert sich. Das Busi­nes­mod­ell wird gän­zlich unmöglich. Dem Huf­schmied ging es auch so. Dem Met­zger auch. Der Kassiererin auch. Den Schrift­set­zern auch. Sog­ar der König und der Papst mussten sich neu erfind­en. Den Bankern wird es nicht anders erge­hen. Den Pro­fes­soren auch. Den Kün­stlern sowieso. Aber beim Jour­nal­is­mus soll es sich um etwas ganz anderes han­deln?

Meinen Sie das wirk­lich so? Oder meinen Sie es ganz anders? Oder ist die Unter­hal­tung ihr einziges Ziel? Und weil dies ihnen ja gelingt: Was denken Sie?

CUI BONO 

nach­trag:

LINKS:

was war jour­nal­is­mus? 
die vierte macht im staat, welche judika­tive, leg­isla­tive und exeku­tive vor dem geschwätz des pöbels schützte. (so?)

medi­um: anderes, anders machen

DIE FORM DER UNRUHE, Band 2, 2010, Ver­lag Junius


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