Textsorte: (4) Memo
Arbeitsform: Dokumentation, Listenbildung, Work in Progress
Anlass: dissent.is/iaaw
TL;DR: (…)
Bildquelle: (…)
URL/Hashtag: (…)
Zum Text Magazin von Carl-Auer Verlag, Heidelberg
Das #MakingOf
Die Kirche im Gletscher. Tanner + Staehelin Verlag, Seite 52
Leo Tuor (eigene Homepage) liest mir heute — 10. Mai 2021 — am frühen Abend in Val die Geschichte “Il cudisch dil striegn — Das Zauberbuch des Pfarrers” auf rätoromanisch ein und wird mir diese Interpretieren müssen ;-)
Leo Tuor liest die Geschichte im Original…
Meine Vorbereitung:
Mich interessiert eine kurze Geschichte…
Welche ich bisher (inhaltlich) überlesen habe. Die Kirche im Gletscher, (Limmat-Verlag, Zweisprachig, Seite ?)
Wie ich die Geschichte kürzlich wieder angeschaut habe, ist mir sofort eine Interpretation “ins Auge gesprungen”. Dieser Variante will ich nachgehen und mehr über die Geschichte erfahren…
Peter Egloff schickt mich mit meinen vielen Frage zur Urenkelin des Sagensammler Anton Derungs.
Nadia Derungs schreibt: “Anton Derungs hatte in seiner Publikation “Entuorn las ruinas de Surcasti” von 1938 eine Sage namens “Il cudisch dil striegn” (S.159), zu Deutsch “Das Zauberbuch”.” (…) “Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass Teile dieser Erzählung auch in Arnold Büchlis “Mythologische Landeskunde von Graubünden” (1989, Bd. 2) vorkommen, und zwar auf Seite 434f und 525f.”
Sie zeigt mir aus einer ihrer Arbeiten eine Variante der Geschichte, welche ich hier einkopieren darf:
Arnold Büchlis “Mythologische Landeskunde von Graubünden” (1989, Bd. 2) vorkommen, und zwar auf Seite 434f und 525f.
Derungs, Nadina: „Miu intent fuva mo, de scriver si quellas caussas della tradiziun…“ Sils fastitgs da miu basat Anton Derungs (1883–1942). In: Annalas da la Societad Retorumantscha 125, Chur 2012, S. 255–274.
Das Buch (da Luis Caduff-Camenisch) In Pleif lebte vor Jahr und Tag (avon biars gis ed onns) ein Geistlicher, der hatte eine sehr neugierige Magd. Eines Tages geht er fort. “Sieh zu”, sagt er zu ihr, “dass du meine Bücher in Ruh lässt!” Die Magd, voll Neugierde, ergrieft sofort ein Buch und beginnt darin zu lesen, obschon sie rein nichts versteht. (Es war auf jeden Fall Lateinisch.) Auf einmal klopft es. “Herrein!” sagt sie. Die Türe geht auf, und herein kommt der von da unten. “Was willst du? Was hab ich zu tun?” Voll Angst weiss sie nicht, was tun. El fa pir (Er wird dringender). Da sagt die Magd: “Va giu sut casa e quenta òra, contas stellas d’aua ein el zeiver!” (Geh hinunter vors Haus und zähle, wie viele Wassertropfen im Waschzuber sind!) Er geht, kehrt aber bald (gleiti) zurück. “Was muss ich jetzt tun?” Die Magd holt eine Kartane Gerste (dumiec) und eine Kartane Weizen, mischt beides und sagt: “Suche mir jede Sorte für sich heraus!” Auch das war bald gemacht. Jetzt wusste sie nicht mehr, was sie vorkeheren (pegliar a maun) sollte, gibt ihm zuletzt eine Handvoll (pugn plein) schwarze Wolle und sagt: “Geh und wasche die, bis sie weiss wird!” er geht zum Brunnen, wäscht, reibt und windet alles aus, dass er schwitzt, aber die Wolle bleibt schwarz. Unterdessen kommt der Priester nach Hause und findet die Magd in halber Verzweiflung. Sie muss ihm sagen, wohin ihre Neugierde geführt hat. Der Geistliche nimmt das Buch und liest. Plötzlich gibt es ein schreckliches Gepolter (ina sgarscheivla rumplanada) im Haus, der Schwarze hat weichen müssen. Von da an war die Magd von ihrer Neugierde geheilt. (Übersetzung der Erzählerin, Büchli II, S. 434f)
Nadja Derungs: “In meiner Arbeit schreibe ich, dass man in Büchlis “Mythologischer Landeskunde” viele Variante von Derungs’ Sagen findet, die von verschiedenen Erzählerinnen und Erzählern kommen. Es ist davon auszugehen, dass Derungs seine 1938 publizierten Sagen ebenfalls von diesen Informanten hatte, sie vor der Publikation aber noch etwas überarbeitete und komplettierte.”
Arbeit an M/einer Interpretation:
(…)
Degen
- Benefiz Rumein (Kloster Disentis)
- Kapelle Sogn Bistgaun, Degen
- “Die Stiftung umfangreichen Grundbesitzes durch einheim. Familien (1712, 1737) verpflichtete das Kloster Disentis, die Kaplanei durch einen ständigen Konventualen betreuen zu lassen.” (Historisches Lexikon)
Der Pfarrer und die Haushälterin
Ganz vertieft in das, was ganz unten — unter vielen anderen Schriften
Ledereinband und eiserne Schlösser
kurioses, konfuses latein
St. Sebastian (Pest)
Die Neugier ist beidseitig
Seite 77
77 + 3 (Leo Tuor) Zahlenmystik?
Etwas rückwärts lesen
- Ein sehr langes Palindrom, wenns 3 Zeilen lang ist ;-)
- Geist ziert Leben, Mut hegt Siege, Beileid trägt belegbare Reue, Neid dient nie, nun eint Neid die Neuerer, abgelebt gärt die Liebe, Geist geht, umnebelt reizt Sieg. (Quelle | Wörter zum Fürchten | Mehr in: Kamelopedia)
- Dann kommt der Teufel
Das gleiche Vorwärts lesen: Dann bleibt alles in der Ordnung.
Misstrauen gegenüber (verschriftlichter) Sprache, gegenüber Bücher, Bildung etc.
Der Teufel ist schön, fleissig, fähig…
Er kommt, wie er geht: ohne einen Ton zu sagen.
Die drei Aufgaben:
- Holz aufbeigen
- Samen sortieren
- Eine schwarze Wolle weiss waschen.
Das Buch verbrennen
- wie Hexen
Versuche möglichst bald, hier einen Lesetext zu bauen. Eine zeitgenössische Interpretation einer ur-alten, sozialen Erfahrung. Und das wird dann die Einleitung für meine Sammlung von Elementen einer nächsten Kulturform…
Zum Übertrag ins Magazin Carl-Auer Verlag
Über Bedürfnis, Angst und Unmöglichkeit das Neue in die Welt zu bringen — Eine Sage
“Il cudisch dil striegn” ist eine rätoromanische Sage aus der Surselva. Sagt Anton Derungs 1938. Sagt Peter Egloff 1982. Zweisprachig wundervoll neu aufgelegt 2015 im Limmat Verlag. Mit Bildern von Steivan Liun Könz. Mit strengem Copyright belegt: “Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Rundfunksendungen und der Fernsehausstrahlung, der fotomechanischen Wiedergabe, auch einzelner Teile.” — Gott steh uns bei.
Eine Sage ist kein Märchen.
Obwohl Märchen freilich von Bedürfnissen, Ängsten und drohendem Unheil erzählen. Rotkäppchen. Zum Beispiel: Ein unschuldiges, kleines Mädchen im grossen, dunklen Wald im Gespräch mit einem listig-geifernden Wolf. Bald liegt er auch schon im Bett der tief schnarchenden Grossmutter. Nicht, ohne sich vorher an ihr genüsslich getan und sie umstandslos aufgefressen zu haben. Jetzt wartet das nackte Übel hübsch verkleidet. Gleich kommt das Kindlein mit ihrem liebevoll gepflückten Blumenstrauss nach Hause und schmiegt sich hemmungslos ins gemachte Bett. — “Wer Ohren hat, der höre.”
Ganz im Gegenteil.
Die Soziale Frage stellt sich anders: Wie kommt eigentlich jenes lang ersehnte nächste Neue in die Welt? Wie lässt sich das Elend der Welt aufheben? So, dass das nicht mehr Passende wieder ein bisschen besser passt.
Nein: Nicht um das Paradies auf Erden zu errichten.
Nein: Nicht um ewig zu leben.
Nein: Die Auflösung ins Ideale ist nicht die Idee: Die spannende Spannung spannend halten, darum geht es.
Das Nächste wird nicht besser sein.
Aber auch nicht schlechter.
Und auch nicht gleich.
Aber es wird anders sein. Und Nächstes ermöglichen.
Sagen sägen am Sagbaren.
“Il cudisch dil striegn”, zu deutsch “Das Zauberbuch”, im Titel von Peter Egloff: “Das Zauberbuch des Pfarrers”, sägt unter dem Deckel einer holistischen, ganzheitlichen, abgeschlossenen, totalitären Welt. Heute würden wir diese Welt vielleicht auch noch mit “digital” beschreiben. Digital im Sinne des 4. Axioms nach Paul Watzlawick: Es geht um eine zweiwertige Logik: Freund:Feind. Wahrheit:Lüge. Richtig:Falsch. Entweder:Oder. Ein bisschen Schwanger geht nicht.
Bekanntlich entstehen bei solch “digitalen Optionen” mindestens fünf Positionen:
1 entweder
2 oder
3 sowohl als auch
4 weder noch
5 Anders. Und anders als so.
Das ist nicht neu. Die Ausgangslage ist beschrieben. Die Grundlagen interessieren nicht.
Was aber erzählt nun diese Sage vom Zauberbuch des Pfarrers? Was haben sich die Geissenhirten und Kuhmelker mitten in den Bergen der Surselva über hunderte von Jahren hinweg in dunkler Nacht erzählt, um bloss nicht schon wieder einen Rosenkranz leiern zu müssen?
In einem grossen, sonnendurchfluteten Seitental der Surselva — eine ganze Tageswanderung vom Kloster in Dissent.is/Muster entfernt, in sicherem Abstand also — machen sich die Einfluss- und anders Reichen selbst ein Geschenk: Sie spenden mildtätig dem Kloster einen Priester für ihre Talschaft. Der Abt schickt — der grosszügigen Spende entsprechend — einer seiner umtriebigen, cleveren, neugierigen Pater.
Die Sage besagt, dass auch seine Haushälterin eine ausserordentlich fähige, pflichtbewusste, aufmerksame Frau ist. An einem Morgen — noch vor dem Frühstück — brütet der Pater schon wieder über jenem geheimnisvollen Buch, was er sorgsam ganz weit unter allerlei anderen Schriften zu unterst in seiner Truhe aufbewahrt. In Leder gebunden. Mit eisernen Schlössern gesichert. In kuriosem und konfusen Latein geschrieben. Die Glocken läuten bereits und schon rennt er selbstvergessen los, noch immer mit leerem Magen. Springt über den Bach Sankt Sebastian zu, die Messe zu lesen.
Während das Schmalzmus überm Feuer darauf wartet, mürbe zu werden — der Kaffee noch nicht einmal kocht — da putzt und fegt die Fleissige bereits die Schreibstube des Mönchs. Und da liegt dieses Buch offen vor ihr. Sie weiss wo suchen. Seite 77. Drei Zeilen müssen es sein. Eine Satz von vorne gleich zu lesen wie von hinten. Ein Palindrom. Sie erkennt es sofort. Wie oft flüsterten sie im Geheimen davon. Und sie liest. Den ganzen Satz. Von hinten nach vorne.
Mit einem gar nicht so lauten, schrecklichen Gepolter steht er da. Schön. Gross. Adrett. Ganz in grün. Die Gute erkennt den Leibhaftigen sofort. An seinen Ziegenfüssen. “Oh je, jetzt hat es mich erwischt!” entfährt es ihr. Er aber in klarem Ton: “Was willst du? Was habe ich hier zu tun?”
Sie scheint vorbereitet und verlangt vom Teufel, dass er das gestern gespaltene Holz aufschichten möge. Das ist keine Aufgabe. Kaum hat er hinter sich die Türe geschlossen, steht er schon wieder da. Die Arbeit sorgsamst und gekonnt erledigt. Möge er in der Speisekammer die Unkrautsamen vom Roggen trennen, verlangt die erschrockene Frau. Jetzt dauerts etwas länger. Nur wenig. Aber gerade lange genug, damit sich die Gute eine bessere Aufgabe ersinnen kann. Darauf hoffend, der Pfarrer möge endlich kommen und Ordnung in ihre Neugier bringen, gibt sie dem Ziegenfuss einen ganzen Ballen schwarzer Wolle. Möge er doch diese ganz weiss waschen, bitte.
Und schon drückt und knüllt, schnaubt und dampft es unten am Brunnen. Aber die schwarze Wolle bleibt schwarz. Was auch immer der Kräftigste unternimmt. Wie nun endlich der Pfarrer zurück kommt und die sonderbare Gestalt am Brunnen herumspritzen sieht, ist ihm klar, dass seine böseste Ahnung eingetroffen ist. Er rennt in seine Schreibstube und liest den drei Zeilen langen Satz auf Seite 77 von vorne nach hinten. Der Leibhaftige verschwindet mit einem knatternden Zack. Die beiden schmatzten ihr Mus. Schweigen. Im Ofen knistert das Buch und heitzt den Kaffee ein nächstes Mal auf.
Wie auch immer: Die Sage wird recht unterschiedlich erzählt. Und unterschiedlich gedeutet. Aber wer in einer geschlossenen Gesellschaft lebt, erkennt was keinem Knecht auf keiner Alp zu keiner Zeit erklärt zu werden braucht: Das, was jetzt hilfreich wäre, versteckt sich nicht. Hat einen Namen. Kann aus dem Nichts aufgerufen werden. Und wer sich routiniert verhält, schafft es spielend die Lösung wieder zum Verschwinden zu bringen und die bestehende Unordnung aller Dinge bewahren. (So?)
- + ≠ #kulturlǝsɥɔǝʍ ¯\_(ツ)_/¯
Feedbacks:
- @murschetg verweist darauf, dass der teufel sehr mechanisch sei. hinweis auf indusstrialisierung
- @tastenschwenker verweist auf die zahl 77 als “verlorenes glück”
- @sonntagsozio verweis auf digitale option, welche gausche verteilungskurve bewirkt…
- letizia verweist auf “schlechtes romanisch”
- @damithingo gefällt “Sagen sägen am Sagbaren” (was ist der Unterschied zu Märchen etc.?)
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Sammlung Feedbacks
Die Bedeutung der Zahlen (pdf)
Stefan M. Seydel, aka sms, aka sms2sms in «Zürcher Festspiel 1901″ (2019, Fotocredit: Charles Schnyder): Twitter, Wikipedia, Youtube (aktuell), Soundcloud, Instagram, Snapchat, TikTok, Twitch
Stefan M. Seydel/sms ;-)
(*1965), M.A., Studium der Sozialen Arbeit in St. Gallen und Berlin. Unternehmer, Sozialarbeiter, Künstler.
Ausstellungen und Performances in der Royal Academy of Arts in London (Frieze/Swiss Cultural Fund UK), im Deutsches Historisches Museum Berlin (Kuration Bazon Brock), in der Crypta Cabaret Voltaire Zürich (Kuration Philipp Meier) uam. Gewinner Migros Jubilée Award, Kategorie Wissensvermittlung. Diverse Ehrungen mit rocketboom.com durch Webby Award (2006–2009). Jury-Mitglied “Next Idea” Prix Ars Electronica 2010. Pendelte bis 2010 als Macher von rebell.tv zwölf Jahre zwischen Bodensee und Berlin. Co-Autor von “Die Form der Unruhe“, Umgang mit Information auf der Höhe der Zeit, Band 1 und 2, Junius Verlag Hamburg. Ruhendes Mitglied im P.E.N.-Club Liechtenstein. Er war drei Jahre Mitglied der Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Seit Ende 2018 entwickelte er in Zürich-Hottingen in vielen Live-Streams – u.a. in Zusammenarbeit mit Statistik Stadt Zürich und Wikimedia Schweiz – den Workflow WikiDienstag.ch, publizierte während der Corona-Krise in der NZZ einen Text über Wikipedia, initiierte das #PaulWatzlawick-Festival 2020 mit und sammelt im Blog von Carl Auer Verlag, Heidelberg, «Elemente einer nächsten Kulturform». Im Juli 2020 kehrt er mit seinem 1997 gegründeten Unternehmen (Spin-Off mit Aufträgen der FH St. Gallen, Gesundheitsdirektion Kanton St. Gallen, Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der EU aus einer Anstellung als Leiter Impuls- und Pilotinterventionen für die Aids-Hilfe St. Gallen/Appenzell) zurück nach Dissent.is/Muster, mitten in die Schweizer Alpen.
Ein Kommentar für “Il cudisch dil striegn — Das Zauberbuch des Pfarrers”
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