#märtyrer — und was aus ihnen wurden…

heilige mär­tyr­er verehren und nicht bedin­gungs­los für gerecht­en frieden ein­ste­hen. was für ein desaster.

(work in progress)

Mär­tyr­er sind Men­schen, welche für eine hier­ar­chielose, gewalt­freie Gesellschaft­sor­d­nung ermordet wer­den – egal, ob dies von Kaisern, Kirchen, Staat­en oder Geheim­di­en­sten durchge­set­zt wird.

Ja, die Zel­e­bra­tion von Mär­tyr­ern begann bere­its in der frühen Kirche, lange vor dem Barock. Allerd­ings hat sich die Bedeu­tung und Insze­nierung über die Jahrhun­derte gewan­delt.

1. Frühchristliche Verehrung (2.–4. Jahrhundert)

  • Die ersten Mär­tyr­er waren Chris­ten, die unter römis­ch­er Herrschaft wegen ihres Glaubens hin­gerichtet wur­den.
  • Ab dem 2. Jahrhun­dert wur­den Mär­tyr­er beson­ders verehrt, ihre Gräber wur­den zu Pil­ger­stät­ten.
  • Mit der Kon­stan­ti­nis­chen Wende (313, Mailän­der Edikt) und der Anerken­nung des Chris­ten­tums wur­den Mär­tyr­er zu iden­titätss­tif­ten­den Fig­uren.
  • Die Kirche begann, Mär­tyr­erfeiern in den litur­gis­chen Kalen­der aufzunehmen.

2. Mittelalter: Heiligenkult und Reliquien (5.–15. Jahrhundert)

  • Das Mär­tyr­ertum wurde zunehmend mit Reliquienkult ver­bun­den.
  • Klöster und Kirchen sam­melten Mär­tyr­erge­beine, um ihre spir­ituelle Autorität zu unter­mauern.
  • Kreuz­züge (ab 1095) ver­stärk­ten das Konzept des “Mär­tyr­ertods”, nun auch für christliche Krieger.
  • Der Heiligsprechung­sprozess wurde insti­tu­tion­al­isiert, Mär­tyr­er wur­den offiziell kanon­isiert.

3. Barock: Märtyrer als Theatralik der Gegenreformation (17.–18. Jahrhundert)

  • Während der Gegen­re­for­ma­tion wurde das Mär­tyr­ertum the­atralisch insze­niert, beson­ders im katholis­chen Barock.
  • Blutige, lei­d­volle Darstel­lun­gen von Mär­tyr­ern soll­ten Gläu­bige emo­tion­al bewe­gen und die katholis­che Iden­tität stärken.
  • Berühmte Beispiele:
    • Sebas­t­ian (Pfeile im Kör­p­er)
    • Lau­ren­tius (auf dem Rost ver­bran­nt)
    • Agatha (Brüste abgeschnit­ten)
  • Der Jesuitenor­den war führend in der Drama­tisierung des Mär­tyr­ertums – etwa in den Mis­sions­bericht­en aus Lateinameri­ka, Indi­en und Chi­na.

4. 19. und 20. Jahrhundert: Mission und politische Instrumentalisierung

  • Mis­sion­are wur­den als “mod­erne Mär­tyr­er” dargestellt, etwa in Afri­ka oder Asien.
  • Der Begriff “Mär­tyr­er” wurde zunehmend poli­tisiert, auch in den Kämpfen gegen Nation­al­sozial­is­mus (z. B. Diet­rich Bon­ho­ef­fer) oder Kom­mu­nis­mus.
  • Während der Weltkriege nutzten Kirchen den Mär­tyrerbe­griff auch für gefal­l­ene christliche Sol­dat­en.

5. Heute: “Verfolgte Christen” als neues Narrativ

  • Organ­i­sa­tio­nen wie Kirche in Not, Open Doors und evan­ge­likale Grup­pen insze­nieren Chris­ten als weltweit ver­fol­gte Mär­tyr­er.
  • Der Begriff wird oft im Kon­text religiös­er Kon­flik­te (z. B. in Indi­en, Nahost, Chi­na) ver­wen­det – oft ohne kri­tis­che Reflex­ion über die eigene kirch­liche Geschichte.
  • Beson­ders kon­ser­v­a­tive Kreise nutzen den Mär­tyr­er-Diskurs zur Abgren­zung gegen Säku­lar­is­mus, Islam und pro­gres­sive Bewe­gun­gen.

Fazit

Die Zel­e­bra­tion von Mär­tyr­ern begann früh, aber ihre Insze­nierung verän­derte sich über die Jahrhun­derte. Während sie im Mit­te­lal­ter und Barock sakral-the­atralisch war, ist sie heute oft poli­tisch aufge­laden.

Kolo­nial­is­mus, Mis­sion und die heutige Skan­dal­isierung “ver­fol­gter Chris­ten”

  1. His­torische Ver­ant­wor­tung der Kirche
    • Mis­sion und Kolo­nial­is­mus gin­gen Hand in Hand:
      • Mis­sion­are begleit­eten kolo­niale Expan­sion, etwa in Afri­ka, Asien und Lateinameri­ka.
      • Die Chris­tian­isierung wurde oft als “Zivil­isierungsauf­trag” gerecht­fer­tigt.
      • Par­al­lel dazu unter­stützten viele Mis­sio­nen die kolo­niale Ver­wal­tung.
    • Kirch­liche Akteure prof­i­tierten von kolo­nialen Struk­turen:
      • Die katholis­che und protes­tantis­che Kirche erhiel­ten Land und Priv­i­legien von Kolo­nialmächt­en.
      • Beispiel: Die Basler Mis­sion grün­dete die Union Trad­ing Com­pa­ny (UTC), die aktiv im kolo­nialen Han­del war.
      • In Lateinameri­ka wurde das Encomien­da-Sys­tem durch kirch­liche Struk­turen gestützt.
  2. Die Kirche und glob­ale Missstände
    • Unter­stützung oder Dul­dung von Unter­drück­ung:
      • In der Apartheid Südafrikas standen viele Kirchen lange auf der Seite des Regimes.
      • In Lateinameri­ka unter­stützten kon­ser­v­a­tive kirch­liche Kreise Mil­itärdik­taturen.
    • Miss­brauch und Gewalt in Mis­sion­ssta­tio­nen:
      • Indige­nous Board­ing Schools in den USA und Kana­da wur­den von Kirchen betrieben – mit katas­trophalen Fol­gen für indi­gene Gemein­schaften.
      • Gewalt, kul­turelle Aus­löschung und sex­u­al­isierte Über­griffe waren sys­tem­a­tisch.
  3. Die heutige Rhetorik über “Mär­tyr­er”
    • Kirch­liche Organ­i­sa­tio­nen wie “Kirche in Not” oder “Open Doors” skan­dal­isieren die Ver­fol­gung von Chris­ten weltweit.
    • Die Opfer­erzäh­lung blendet oft his­torische Ver­ant­wor­tung aus:
      • Chris­ten wer­den als alleinige Opfer religiös­er Intol­er­anz dargestellt.
      • Die his­torische Rolle der Kirche bei Unter­drück­ung, Kolo­nial­isierung und Mis­sion­ierung wird sel­ten the­ma­tisiert.
    • Ein selek­tives Nar­ra­tiv?
      • Chris­ten­ver­fol­gung wird skan­dal­isiert – aber Ver­fol­gung ander­er Grup­pen (z. B. indi­gen­er Reli­gio­nen oder mus­lim­is­ch­er Min­der­heit­en) oft ignori­ert.
      • Beispiel: Die Kirche the­ma­tisiert die Gewalt gegen Chris­ten in Indi­en, schweigt aber über die Mis­sion­s­geschichte und deren Ein­fluss auf indi­gene Völk­er.
  4. Warum jet­zt? Die poli­tis­che Dimen­sion
    • Die Skan­dal­isierung von “ver­fol­gten Chris­ten” dient oft poli­tis­chen Inter­essen:
      • In west­lichen Län­dern wird das The­ma als Argu­ment gegen Migra­tion und Mul­ti­kul­tur­al­is­mus genutzt.
      • In recht­en Kreisen ist es ein Mit­tel zur Mobil­isierung gegen den Islam.
      • Evan­ge­likale Grup­pen nutzen es zur Legit­imierung neuer Mis­sio­nen.

Fazit

Die Kirche spricht heute von “Mär­tyr­ern”, ohne ihre eigene his­torische Rolle in den glob­alen Machtver­hält­nis­sen ern­sthaft aufzuar­beit­en. Diese selek­tive Skan­dal­isierung ist heuch­lerisch, wenn sie nicht mit ein­er radikalen Reflex­ion der kirch­lichen Ver­gan­gen­heit ver­bun­den wird.