WORK IN PROGRESS
arbeitsziel woche 50/2015
EXPLIZIT:
die übernahme von textteilen, aka “zitate”, in distributive medien (zeitung und co) ist explizit untersagt. die verlinkung ist freilich ok ;-)
es soll zu einer festschrift kommen: “30 jahre aids-hilfe st. gallen/appenzell” (ahsga) und weil ich der erste “professionelle” mitarbeiter dieser regionalen aids-hilfe am südlichen ufer vom bodensee war, gibts ein interview. mit rené hornung. er wird das telefongespräch als interview umarbeiten. er werde mir den text zum gegenlesen vorlegen. hat er mir von sich aus in seienem eMail angeboten. (mir lehrte er damals (1990) noch, dass “gegenlesen” ein absolutes no-go sei. nie gegenlesen lassen! ich habe mich immer an seine devise gehalten. so ändern sich die zeiten ;-))) meine spontane reaktion via eMail auf die anfrage, ob ich mich für ein gespräch mit hornung zur verfügung stelle, habe ich unten einkopiert. hier will ich aber noch systematischer suchen und mich so aufs gespräch vorbereiten… es ist wohl ein “hermeneutischer ansatz”… ein abgleich von dem, was mich als frischgebackener sozialarbeiter damals beschäftigt hat. und was mir aus der perspektive 30 jahre zurück auffällt… um dann später den text von rené (oder jener von mir freigegebene) hier einzufügen… kurzum: ein MAKING OF wie wir es schon immer gemacht haben seit es normalsterblichen ermöglicht wurde, offen zugänglich unterlagen abzulegen, es heutzutage aber kunstprofessoren wie @stporomka umstandlos VERLANGEN ;-)
mindmap zur gesprächsvorbereitung
die zentralste kompetenz 4 #sozialarbeit? #ambiguitätstoleranz | von der #emergenz zur #kontingenz. 30 jahre AHSGA pic.twitter.com/xIMfQMCObY
— ████████dissent.is (@sms2sms) December 9, 2015
doku interview
(so wäre es für mich ok | Stand 12.12.2015, 14:40h | ablauf: freies gespräch/telefon > umarbeitung in form interview rené > überarbeitung sms > überarbeitung rené > ohne korrekturen durch sms autorisiert | links durch sms eingefügt)
Stefan M. Seydel: Die Not hat vieles verändert
Stefan M. Seydel hat als junger Sozialarbeiter bei der Aids-Hilfe St.Gallen/Appenzell die «Flash-Box» lanciert. Im Rückblick ist für ihn der Wertewandel das wichtigste Resultat des Kampfes gegen die damalige Not.
von René Hornung
Stefan M. Seydel, wenn Sie sich ins Jahr 1990 zurückdenken, welche Erinnerungen kommen dann hoch?
Der Einstieg bei der Aids-Hilfe war meine erste Anstellung nach der Ausbildung zum Sozialarbeiter. Ich hatte bereits eine Abmachung mit Pro Juventute in der Tasche, als mich die damalige Stellenleiterin Sonja Harlander (heute: Chiozza) abwarb. Für mich war das eine sehr eindrückliche Zeit – alles war im Umbruch: ich wurde Vater, ich verdiente mein erstes Geld, die Berliner Mauer fiel. Und dann diese Not rund um HIV und AIDS. Für mich stand die ganze soziale Welt Kopf.Bei der Aids-Hilfe kam es damals rasch zum Umbruch: weg vom emotional begründeten Engagement, hin zur Professionalisierung.
Persönlich stand ich dem Engagement der Gründergeneration nahe. Ich war quasi eine Restanz aus dem alten Team. Als dann die Profis einzogen, gab es teils merkwürdige Situationen. Ein Beispiel: Ich hatte unter anderem meinen privaten Computer mit ins Büro gebracht. Den müsse ich verschwinden lassen, sagten mir die «Profis», denn man müsse diesen Laien und ihren Geldgebern beibringen, dass man solche Arbeitsinstrumente jetzt brauche. Da sei es falsch, privates Equipment mit an den Arbeitsplatz zu bringen.Hat das Internet auch die Arbeit verändert?
Als ich 1990 begonnen hatte, gab es noch die «anonyme» Telefonberatung. Aber die Stimme ist verräterisch, engt ein. Online-Beratung ist viel freier, spielerischer, offener. Ich war begeistert von dieser neuen Möglichkeit.Hat der angesprochene Umbruch denn nicht das Reden über Drogen, Sex und Aids vereinfacht?
Vereinfacht? Das weiss ich nicht. Verändert! Aids war ein epidemiologisches Problem, welches von spezialisierten Ärzten behandelt wurde. Wir Sozialarbeiter behandelten diese «gesellschaftliche Eiterbeule» wie es Ärzte tun würden: Aufschneiden, damit Heilung möglich wird. Dieser aufklärerische Ansatz kollidierte mit dem ökonomischen. Ich wurde «auf schwer erreichbare Zielgruppen» angesetzt. Auf «illegal drogenkonsumierende Personen in ländlichen Gebieten». Drogenstrich, Migrantengruppen, Gefängnisinsassen, das waren meine Themen. Es waren präzise «Feuerwehr»-Einsätze zur Risikoabwehr. Dafür gab es dann auch zusätzliche Gelder. Diese kamen aber nicht unbedingt den Bedürfnissen der Betroffenen zugute.Aber Aids war doch in jenen Jahren noch sehr präsent, sehr sichtbar …
… ja, natürlich. Auch in der Aids-Hilfe selber: Es arbeiteten bei uns Menschen mit, die sich als HIV-positiv geoutet hatten. Trotzdem: Die Arbeit der Professionellen berücksichtigt immer auch die Sichtweise der Geldgeber. Diese sassen ja auch im Vorstand und bestimmten mit. Die Perspektiven kollidierten. Das führte auch zu Enttäuschungen, ja zu Verletzungen bei den Betroffenen.Sie waren zuständig für Prävention im Suchtbereich. Was konntet ihr damals tun?
Mich hat die Szene der drogenkonsumierenden Stricher sehr beschäftigt. Diese jungen Männer waren auf so vielen Ebenen gesellschaftlich stigmatisiert und sie waren epidemiologisch auch relevanter als die Sex-Workerinnen. Ich konnte auch zum Beispiel Mediatorenprojekte realisieren. Wir brachten die Peers zusammen. Ich kopierte dabei einen erfolgreichen Breast-Feeding-Ansatz aus Afrika, welcher gegen die Propagandamaschine von Nestlé reagierte! Oder jenes Projekt für das Bundesamt für Gesundheit das wir zusammen mit der Sporthochschule Magglingen erarbeiteten und das hoffnungsvollen Ergebnissen aus Studien zur «Autoremission» nachging. Es untersuchte, ob Menschen ihr Verhalten nicht auch ganz alleine ändern, ganz ohne Mithilfe durch die «professionelle Prävention». Das Projekt wurde dann aber gestoppt. Auch das ist ein Beispiel, wie professionelle Arbeit sich gerne jenen Gebieten zuwendet, welche für die weitere Etablierung nützlich ist.Ihr wichtiges Projekt war die «Flash-Box», wie kam es dazu?
Das war ein grosser Erfolg und öffnete mir persönlich viele Türen. Mein Verdienst war aber bloss, dass ich im richtigen Moment am richtigen Ort war. Der heutige Chefarzt der Notfallklinik, Joseph Osterwalder, stellte mir die richtigen Fragen und der damalige Präventivmediziner des Kantons St. Gallen, François van der Linde, brachte mich mit den richtigen Leuten zusammen. So entstand diese Zigarettenschachtel-grosse «Flash-Box» mit Spritze, Tupfer, Informationsmaterial etc. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanzierte das Ganze. Nach nur einem Jahr bei der AHSGA konnten wir damit mehr Geld einbringen, als meine Stelle kostete. Die «Flash Box» brachte unsere regionale Aids-Hilfe auch früh national und international auf den Plan.Bei der Einführung der «Flash-Box» gab es viele Proteste und Probleme.
Natürlich. Aber rund um Drogen und AIDS war damals alles unglaublich aufgeregt, sensationell und laut. Wir mussten etwa den Apothekern erklären, dass es für die Drogenabhängigen wichtig war, «Flash-Boxes» kaufen zu können, ohne dass sie im Laden stigmatisiert werden. Es ging darum, «Flash-Box» als Code zu etablieren. Wir mussten damit aber unbedingt auch in die Drogerien kommen. Da lief der Apothekerverband Sturm. Schliesslich wurden «Flash-Boxes» dann sogar in den Zigaretten-Automaten verkauft. Das ist nur 20 Jahre her. Heute werden in Apotheken Postshops eingerichtet, die Briefmarken verkaufen und Pakete annehmen.Vieles von dem, was damals umstritten war und bekämpft wurde, ist heute Alltag. Spielte Aids bei dieser Neuorientierung eine Rolle?
Das wäre eine interessante Forschungsfrage. Welche Zusammenhänge gibt es zwischen der Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderung von Aids und den Veränderungen in der Politik nach 1989, sowie dem Aufkommen des neuen, heute dominanten Kommunikationsmediums Internet? Ich finde es plausibel, dass die Lebensfreude der Schwulen, die Musik, die Grafik, die Ästhetik, diese enorme Kraft, dramatisches, individuelles Leid umzuformulieren in etwas Schönes, Gutes, Gelungenes seine Wirkung hatte. Ich erinnere mich an mein Poster, das ich mit an die Welt-Aids-Konferenz in Vancouver gebracht hatte. Es war sexy, zeigt nichts von Not oder Elend. Die Leute fotografierten sich davor. Die Stop-Aids- Kampagne der Schweiz wurde weltweit gefeiert. Dieses Selbstbewusstsein versuchten andere Kampagnen zu kopieren. Etwa jene, die für Solidarität mit Menschen mit einer Behinderung warb. Das passt alles gut zur neo-kapitalistischen Devise passen: «Jeder ist der Schmied seines eigenen Glücks.» Und wem dies nicht passt, der wird von einem professionellen Sozialarbeiter zu dieser Erleuchtung befördert.
nachbearbeitung
wow. wenn ein interview für den befragten spannend wird… https://t.co/Qq5AFAAFem pic.twitter.com/HepEfMIZVt
— ████████dissent.is (@sms2sms) December 10, 2015
was wäre eigentlich gewesen, wenn die umstellung auf ein nächstes, dominantes kommunikationmedium (internet) und die umstellung politischer weltbilder (ost:west, pulverisierung des realexistierenden sozialismus und “das ende der geschichte”, der #endsieg des kapitalismus…) nicht zeitgleich mit HIV/AIDS abgelaufen wäre. die lebensfreude, der spass, die musik, die kunst, das grafik/design der schwulenszene… das coming out von so manchen sozialen “geheimnissen”…
#CountToThree das “coming out” der #kontingenz aus dem feld der #emergenz …#mauerfall#internet #AIDS
— ████████dissent.is (@sms2sms) December 10, 2015
was ich vergessen habe? vor 25 jahren gabe es noch #randgruppen (das gibt es heute auch nicht mehr) https://t.co/AVgvskIOYN
— ████████dissent.is (@sms2sms) December 11, 2015
Was ist eigentlich aus der Tomatensuppe und der schönsten Verkäuferin geworden? @sms2sms pic.twitter.com/nqnT1mk1BH
— Herr Latent (@latent_de) December 11, 2015
meine erste, spontane reaktion auf die anfrage
(eMail abgesetzt am 26. November 2015 um 15:33 | leichte anpassungen und hyperlinks eingefügt am 10.12.2015)
hoi susi — so heisst du bei mir noch immer…
hallo — mir persönlich (noch?) unbekannte — myshelle…
ja. da sind viele gute erinnerungen drin. schnelles brainstorming?
bin ja gleich “ab presse” 1990 von der soz angestellt worden. und ich
war wohl auch schweizweit, aber ganz sicher in der ahsga, der erste
“professionelle” sozialarbeiter (bachelor)… danach kamen ja immer
mehr profis. und immer weniger “betroffene”… und es wurde
bekanntlich alles viiiiiiel besser. SCHERZ! — natürlich ein schlechter
:-/
danke für 25 jahre (1990 — 2015) pic.twitter.com/bQzkI3P62Y
— ████████dissent.is (@sms2sms) November 14, 2015
sonja harlander — meine chefin — drückte mir am ersten arbeitstag geld
in die hand und ich durfte mir einen bürostuhl meines herzens kaufen
gehen. den hat mir später johannes überlassen. und ich habe ihn vor
wenigen tagen hier in einen deckenschrank gesperrt. 25 jahre sass ich
auf dem teil. ich weiss einfach noch, wie GUUUUT ich mich als junger
sozialarbeiter fühlte mit diesem ersten arbeitstag. und teil einer
globalen truppe zu sein, welche so auf einigen schmerzenden
gesellschaftlichen eiterbeulen trampolin sprangen. diese mischung von
elend und lust und lebensfreude… keine ahnung. es war ein sehr
“existenzialistisches” gefühl… :-)
“konfrontatives feedback geben” vor 30 jahren im studium #sozialarbeit bachelor hip. jetzt macht es @amazon auch pic.twitter.com/I4n3kPyhvF
— ████████dissent.is (@sms2sms) December 10, 2015
in der intervision bekam ich allerdings auf den arsch. weil ich meinen
eigenen pc mit zur arbeit nahm. es hiess, dass diese “laienvereine”
sensibilisiert werden müssten. und dass das private büro-equiment mit
zur arbeit zu bringen von schlimmster unprofessionalität zeuge…
es war rené hornung, welcher mich in die storygeilheit von
journalismus einführte. er bekochte mich. und ich war megastolz von
einem solch tollen journalisten in der privatwohnung empfangen zu
werden. am nächsten tag waren dann internas über das vereinsleben — er
war ja auch mitglied im verein — im tagblatt und johannes und die
vorstände zogen ihren jungen huch!profi an die brust… wenig
später(?) war dann “mein projekt” auf seite 1 vom blick. und alle
hyperventilierten… und war ich sehr, sehr wichtig. SCHERZ! natürlich
ein lustiger ;-)
es war die zeit, wie ddb seiler (später needham, damals noch) in basel dem bundesamt für gesundheit
250.-(? vielleicht waren es auch 2500 ;-))) für die herstellung eines PDF’s in rechnung stellen konnte…
und nach 9/11 die produktion von (für sie: scheiss-)homepages an sich riss. (und
ich verlor einen wichtigen web-kunden und geniale aufträge). das war dann bereits
alkohol-prävention… aber eben auch noch BAG)
in den büroräumen der ahsga bastelten wir mit an den ersten homepages,
welche das BAG finanzierte. ich durfte zwar nicht das logo verwenden
des bundes. der bundesrat hätte dazu noch keine haltung entwickelt…
aber wir bekamen dann später vom wohl ersten “kundenmagazin” des BAG
bestnoten für unsere homepage…
früher: die anonyme telefonberatung war damals schon recht gut am
laufen. ich habe dann angefangen, beratungen via eMail anzubieten. ich
entwickelte ein teil mit ca 6 avataren (“my eMotional back office” aka /eMotion). welche ich alle selbst
spielte. das war freilich eine prima sache, weil nun also auch die
stimme gelöscht war. die unterscheidung mann/frau war damit auch
weg…
klar… dann kam flash, rast, media… nach ca einem jahr hatte ich ja
diese ersten projekte vom BAG…
und: es kam zu einer legendären konferenz auf dem säntis. peter gut
jagte gerade sein ZEPRA durch den kanton… projektorientiertes
arbeiten im umfeld des gesundheitsdepartementes machte davor wohl nur
roth… wie hiess er? ähm… ich glaube, patrick roth… odr?
den nahmen wir nicht mit auf den säntis. aber den hebi, den rené
akeret… du susi, odr? und wer noch? ich jedenfalls mit notebook. ich
machte als baby die protokolle und war zuständig für das
new-generation-feeling. wir fühlten uns — ich fühlte mich! — als teil
von etwas ganz neuem und franz van der linde und peppi osterwalder -
frisch zurück aus NY/NY mit ihrem public health titel waren unser
kantonalen, nationalen, internationalen mega-helden… und
gleichzeitig reflektierte ich an soziologenkongressen diese neue
dienstleistungsgesellschaft… die projektifizierung… das sich
fröhlich lächelnd selbst zum ausschluss bereit stellen… sass immer
mal wieder bei peter gross am soziologischen institut und wir
diskutierten diese dramatischen gesellschaftlichen umstellungen… mit
all ihren chancen und prekaritäten…
ja. es war eine tolle zeit. und ich habe enorm viel gelernt und
chancen erhalten und freiräume bespielen dürfen. das aufkommen von
weh!weh!weh! konnte ich dank der arbeit ab 1990 für die AHSGA sehr
intensiv miterleben… 1997 baten mich dann johannes abzuhauen. ich
machte dann schon seit einigen jahren projekte, welche von nationaler
ebene finanziert waren und mitgeholfen haben, die knappen ressourcen
zu erweitern. mit aufträgen vom kanton, dem BAG und der FH st. gallen
machten wir dann den SPIN OFF… auch so ein damals hippes wort…
später dann das angel investment auf mein unternehmen… und jetzt
sitze ich in zürich am hottinger platz… kein schlechter ort, um ein
bierchen vorbei zu kommen. finde ich :-)))
wolltest du sowas? (aber gell: das ist alles nur für euch zwei.)
bis bald. oder später.
Ein Kommentar für “interview anlässlich “30 jahre Aids-Hilfe St. Gallen/Appenzell” (vorbereitung)”