ACHTUNG: der folgende texte ist NICHT autorisiert zur übernahme in andere formen der publikation. weder digital noch auf totes holz gepresst. links auf diesen eintrag sind freilich ok. der text ist eine unredigierte, unkorrigiert rohfassung. ein first draft. d!a!n!k!e ;-)
LERNEN VOM KLOSTER DISSENT.IS 2/12
Schweigen ist handeln
von Stefan M. Seydel
Über das Schweigen zu reden, ist aggressiv. Schweigen meint ja gerade, nicht zu reden. Es ist aggressiv über das Schweigen zu reden. Schweigen meint nicht, keine Meinung zu haben. Es meint nicht, Einverstanden zu sein. Schweigen ist gar das Gegenteil von “klein beigeben”. Wovon man nicht sprechen kann, muss man schweigen, folgerte Wittgenstein logisch. Die Regula Benedicti folgerte früher. Menschlicher: Schweigen ermöglicht körperlichen Rückzug. Soziale Distanz. Einpendeln in genügende Nähe. Abkühlung der Gefühle. Um konkret zu werden:
Schweigen — das sieht jedes Kind — ist eine Abkürzung. Ein Zusammenzug aus zwei Worten. Wer nicht schweigt, schwätzt. Schweigen bringt das innere, verschüttete, eigene Schwätzen zu Gehör. Wer offensiv schweigt, fährt das eigene Denken gegen die Wand. Schweigen, so zeigt es das Wort an, führt das eigene Schwätzen zu einem eigenen Ende. Schw-eigen. Und wie wurde das geübt und ermöglicht? In der stillen Begegnung mit der Schrift. Darum ist die Schrift heilig. Weil sie ein Wunder an der eigenen Seele vollbringt. Die heilige Schrift nimmt die brennende Seele in ihre Obhut. Wie ein Hirte sein Schaf. “Er weidet mich auf grünen Auen und führet mich zu stillen Wassern.” (Psalm 23)
Die stille Bibliothek ist keine Erfindung der aufklärerischen Lesegesellschaften. Das Leben im Kloster, ist keine Ausbildung zur demütigen Hinnahme von Unannehmlichkeiten. Ganz im Gegenteil. Es ist der Hort einer mitreissenden “Lavina Nera”. Und damit das Gegenteil von Gehorsam. Aber übers horchen, gehts das nächste Mal. Für Hier & Jetzt:
Können wir aus dieser Geschichte aus dem Kloster etwas Praktisches für unsere alltägliche Praxis lernen? So ganz konkret? — Nein. Aber irritierend inspirierend kann es sein. Gell? Eben.
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Stefan M. Seydel war drei Jahre der Präfekt im Benediktiner Kloster Disentis und Mitglied der dreiköpfigen Schulleitung Gymnasium Kloster Disentis. Selbstverständlich ist der Text eine freie Interpretation des Klosterlebens und muss in keiner Weise mit den Ansätzen der Mönche in Disentis überein stimmen. Mehr über den in der internationalen Bloggersphäre mit seinen Initialen “sms” bekannte Autor und Mitglied im renommierten PEN-Club Liechtenstein findet sich in seinem Zettelkasten: http://dissent.is