Langsam: Mein Blog ist mein Kartenraum und keine Bühne. Ich weiss wie man publiziert. Das hier ist etwas anderes. d!a!n!k!e | WORK IN PROGRESS reload für aktuellen schreibstand | warum ich nicht publiziere? weil ich es kann. weil es geht. weil ich es für angemessen halte.

(…)
die ganze playlist auf WikiDienstag.ch | abonniere kostenlos den WhatsApp-channel #LavinaNera treis
Anlässe zu diesem Eintrag:
Verortung
Vom Toleranzedikt zur byzantinischen Wandmalerei in Disentis
Ein Überblick über die Wendezeit des Christentums (313–800)
- 313 – Mailänder Vereinbarung
Konstantin (Westreich) und Licinius (Ostreich) gewähren allen Religionen Freiheit. Das Christentum wird legal. Der jahrhundertelangen Verfolgung folgt staatlicher Schutz. - 325 – Konzil von Nicäa
Konstantin beruft das erste ökumenische Konzil ein. Ergebnis: das nicänische Glaubensbekenntnis. Der arianische Streit wird zugunsten der Trinitätslehre entschieden. Beginn der Dogmenbildung. - 380 – Staatsreligion
Kaiser Theodosius I. erklärt das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches. Heidnische Kulte werden verboten. Die Kirche wird Teil des Staates. - 395 – Teilung des Reiches
Nach dem Tod Theodosius’ I. zerfällt das Reich dauerhaft in Westrom und Ostrom. Der Osten wird zu Byzanz, der Westen taumelt ins Chaos. - 476 – Fall Westroms
Der germanische Heerführer Odoaker setzt den letzten weströmischen Kaiser ab. Das weströmische Reich endet – die Kirche bleibt als stabile Institution bestehen. - 700–800 – Kloster Disentis als byzantinischer Resonanzraum
In der Surselva entsteht mit dem Kloster Disentis eine alpine Sakrallandschaft. Archäologische Funde zeigen: um 750 werden hier monumentale, plastisch unterlegte Wandmalereien im Stil frühbyzantinischer Ikonen geschaffen – vermutlich die ältesten ihrer Art nördlich der Alpen. Diese Bilderwelt bezeugt einen transalpinen Kulturkontakt: Disentis wird nicht von Rom, sondern von Konstantinopel her geprägt – theologisch, künstlerisch, spirituell.
Fazit:
Zwischen 313 und 800 verändert sich das Christentum radikal:
Vom unterdrückten Randphänomen zur herrschaftsstabilisierenden Staatskirche – mit Disentis als stillem Zeugen dieser byzantinisch geprägten Zwischenzeit.
Heilige Agatha und Sebastian – zwei Märtyrer der Übergangszeit
- Heilige Agatha (gestorben ca. 251)
- Verfolgung unter Decius (römischer Kaiser, Christenverfolger)
- Symbol für das Leiden vor der konstantinischen Wende
- Steht für Widerstand, Integrität und das Martyrium vor der Legalisierung des Christentums
- Heiliger Sebastian (gestorben ca. 288)
- Diente im römischen Heer, wurde wegen seines Glaubens getötet
- Seine Verehrung wuchs besonders nach dem Mailänder Edikt
- Symbol für den Übergang: Märtyrer, aber bereits von einer Kirche verehrt, die im Begriff war, Macht zu gewinnen
Geografischer Kontext – symbolträchtig verdichtet
- Zwischen Agatha- und Sebastian-Kapelle fliesst der Vorderrhein – der junge Rhein als liminaler Ort: Quelle, Ursprung, Übergang.
- Die Hängebrücke bei Lapadènta (lapendenta.ch) ist die längste in Graubünden – sie verbindet nicht nur geografisch, sondern auch kulturell-spirituell.
- Dein Projekt dissent.is/passadis trifft den Kern:
→ Brücken schlagen zwischen Zeiten, Formen, Kräften.
→ Zwischen Verfolgung und Vereinnahmung, Zeugenschaft und Macht.
Fazit:
Die beiden Kapellen, die Hängebrücke und der junge Rhein bilden ein dreifaches Zeichen für den Übergang vom Märtyrertum zur Staatskirche – und für die Notwendigkeit, diese Übergänge heute neu zu befragen. Dein „passadis“ ist nicht nur ein Steg – es ist ein Denkweg.
Summary
Würde ich heute leben wie die, die damals verfolgt wurden?
Oder war es gut, dass andere den Weg freigeräumt haben – mit ihrem Schweigen, ihrem Verrat, ihrer Entschlossenheit?
Wer sich mit einem Märtyrer, einer Märtyrerin im Gebet verbindet, betritt eine doppelte Schwelle:
- zwischen Verehrung und Mitverantwortung.
- zwischen Nachfolge und Abstand.
- zwischen Glaube und Geschichte.
Das ist das Paradoxon.
Vielleicht beginnt Spiritualität genau dort, wo keine Eindeutigkeit mehr tröstet.
#DasMärtyriumParadoxon
Darin liegt eine zentrale Kraft:
- Doppelte Identifikation
Die betende Person identifiziert sich sowohl mit dem Opfer als auch mit der (abwesenden) Menge, die das Opfer zugelassen oder verursacht hat. Diese doppelte Perspektive erzeugt Spannung. - Paradoxe Selbstprüfung
Das Gebet mit dem Märtyrer wird zur unauflösbaren Gewissensfrage:
„Würde ich heute dieselbe Konsequenz leben – oder hätte ich damals geschwiegen, gezögert, mitgemacht?“ - Moralischer Kurzschluss
Jede Form der Verehrung von Märtyrern führt zu einem inneren Widerspruch:
„Wenn ich sie wirklich verehre – warum lebe ich nicht wie sie?“
Oder umgekehrt: „Wenn ich nicht lebe wie sie – kann ich sie dann ehrlich verehren?“ - Radikale Konfrontation mit dem Jetzt
Das Paradoxon verlagert die Geschichte in die Gegenwart:
„Was wäre mein heutiger Märtyrerfall? Wo stehe ich jetzt zwischen Mitläufertum und Widerstand?“ - Spiritualität ohne Ausflucht
Diese Denkfigur verhindert religiöse Selbstberuhigung. Sie stellt sicher, dass Glaube nicht zur bloßen Liturgie verkommt, sondern zur brennenden Frage wird: „Würde ich wirklich riskieren, was ich sage zu glauben?“
Fazit:
Ja, das Paradoxon enthält eine enorme ethisch-spirituelle Sprengkraft. Es macht das Märtyrische nicht zu einer heldenhaften Erinnerung, sondern zu einer Prüfung im Heute – ohne Exitstrategie.
#DasJudasProblem
Der vielleicht sogar noch schärfere Begriff – mit folgenden Akzenten:
- Nicht Opfer‑, sondern Täterperspektive
Im Unterschied zum Märtyrer-Paradoxon rückt Judas die Frage radikal in die Rolle des Verräters:
„Wo bin ich nicht der Getreue, sondern der, der verkauft?“ - Nähe statt Distanz
Judas war kein Gegner von außen, sondern Teil der Gruppe, Teil des Systems. Das macht die Identifikation noch unangenehmer, noch direkter:
„Wem habe ich heute zu nahe gestanden – und trotzdem verraten?“ - Systemische Funktion
Judas steht nicht nur für persönlichen Verrat, sondern für systemische Logik: Der Verrat war „notwendig“, um das System am Laufen zu halten (Tempel, Ordnung, Machtbalance).
→ „Was verrate ich, um funktional zu bleiben?“ - Die Unerlöstheit des Helden-Narrativs
Während Märtyrer häufig romantisiert werden, bleibt Judas der ewige Schatten. Er ist nicht Vorbild, sondern Stachel. Gerade das macht ihn zum Prüfstein jeder konsequenten Ethik. - Paradoxe Theologie
Ohne Judas kein Kreuz, ohne Kreuz keine Erlösung – dieser theologische Kurzschluss fordert heraus:
„Bin ich Werkzeug des Heils oder Täter des Bösen?“
→ „Darf man Judas danken – oder muss man ihn beklagen?“
Fazit:
Ob Märtyrertum oder Judas: Beide Denkfiguren entlarven jede bequeme Moral.
Das eine stellt die Frage: „Würde ich so leiden?“
Das andere: „Würde ich so verraten?“
Beide zusammen: ein unauflöslicher Prüfstein für jeden gelebten Glauben.
Der Umgang mit dem Paradoxon in der Katholischen Machtkirche
Das Märtyrertum wie auch das Judas-Phänomen konnten in der katholischen Kirche nie bloß Randphänomene bleiben. Beide berühren den Kern der kirchlichen Selbstdeutung. Hier eine Übersicht, wie die Machtkirche intellektuell damit umging:
- Märtyrer als Legitimationsfigur
- Frühe Kirche: Märtyrer wurden zu identitätsstiftenden Figuren gegen das römische Imperium – Widerstand durch Glauben.
- Nach Konstantin: Das Märtyrertum wurde funktionalisiert: Wer das Martyrium ehrt, stärkt die Wahrheit der Kirche.
→ Paradoxon: Die Machtkirche verehrt die, die gegen Macht standen.
- Umdeutung des Märtyrers
- Heiligenkult: Märtyrer wurden nachträglich in eine sakrale Ordnung integriert – oft mit Wundern, Visionen, göttlicher Lenkung.
→ Das schwächt das Paradoxon ab: „Sie waren besonders – nicht wie du oder ich.“ - Hagiographie: Der Einzelne wird zum Beispiel, nicht zur Anklage.
→ Ergebnis: Entparadoxierung durch Heroisierung.
- Heiligenkult: Märtyrer wurden nachträglich in eine sakrale Ordnung integriert – oft mit Wundern, Visionen, göttlicher Lenkung.
- Judas als Projektionsfläche
- Judas wurde zum absoluten Anderen stilisiert: der, der auserwählt war zu fallen.
- Augustinus: Judas als Werkzeug göttlichen Willens – aber persönlich schuldhaft.
→ Theologisch: Notwendigkeit des Verrats ohne Entschuldigung des Verräters. - Kirchlich-politisch: Judas wurde antisemitisch aufgeladen – die Kirche externalisierte Verrat auf „die anderen“.
- Vermeidung der Selbstbefragung
- Judas wurde nie als innerkirchliches Problem diskutiert: Verrat geschieht von außen oder durch „falsche Brüder“.
- Das eigentliche Paradoxon – „Sind wir heute Judas?“ – wurde theologisch systematisch verdrängt.
- Mystische und randständige Reflexionen
- Meister Eckhart, Simone Weil, Dorothy Day, Silja Walter u. a. haben das Judas-Problem spirituell und ethisch bearbeitet:
Judas als notwendiger Spiegel, Judas als der, den niemand lieben will.
→ Aber: Diese Reflexionen blieben außerhalb der Machtstruktur wirksam.
- Meister Eckhart, Simone Weil, Dorothy Day, Silja Walter u. a. haben das Judas-Problem spirituell und ethisch bearbeitet:
Fazit:
Die katholische Machtkirche hat das Paradoxon nicht offensiv bearbeitet, sondern:
- Märtyrer zur Legitimation gemacht
- Judas externalisiert oder mystifiziert
- die ethische Selbstbefragung weitgehend vermieden
Erst am Rand, in radikalen Bewegungen (z. B. Täufer, Mystikerinnen, Befreiungstheologie), wird das Paradoxon wieder gefährlich – und damit ehrlich.
intellektuell unbefriedigend, spirituell irritierend
Genau das ist das „Erfolgsrezept“ der Machtkirche: die gefährlichsten Paradoxien zu neutralisieren, ohne sie aufzulösen. Ein paar konkrete historische und theologische Strategien, die das zeigen:
- Thomas von Aquin (13. Jh.)
- Er behandelt das Judas-Problem in der Summa Theologiae:
Gott wollte den Tod Jesu – Judas handelte freiwillig böse.
→ Klassischer „theodizee-kompatibler“ Kurzschluss: Judas als nützlicher Sünder, aber ohne Vorbildfunktion.
→ Paradox gebannt durch Scholastik.
- Er behandelt das Judas-Problem in der Summa Theologiae:
- Barocke Märtyrertheologie (Post-Trient)
- Nach der Reformation wurde das Märtyrertum katholisch rückübersetzt:
Nicht mehr gegen die Macht, sondern im Dienste der wahren Kirche. - Beispiel: Die Jesuiten-Missionare in Japan oder Kanada – Märtyrer, aber als Agenten der römischen Ordnung.
→ Das Märtyrertum wird zum Beweis katholischer Wahrheit, nicht zur Infragestellung von Macht.
- Nach der Reformation wurde das Märtyrertum katholisch rückübersetzt:
- Judas als jüdisches Problem
- Spätestens seit dem Hochmittelalter: Judas = Jude = Gottesmörder.
- Ergebnis: Verrat wird externalisiert – „nicht wir waren es, sondern die anderen“.
→ Massive Verschiebung der Selbstbefragung ins Außen.
→ Das Paradox wird sozusagen rassistisch entsorgt.
- Heilige statt Paradoxa
- Heiligenverehrung funktionierte wie ein Paradoxon-Staubsauger:
Je schärfer der Widerspruch, desto mehr Wunder, Demut, Askese – und desto sicherer die kanonische Integration.
→ Man verehrt Franziskus, nicht seinen Bruch mit der Kirche.
→ Man feiert Maximilian Kolbe, nicht seine Kritik am Nationalismus.
- Heiligenverehrung funktionierte wie ein Paradoxon-Staubsauger:
- Zensur und Inquisition
- Wer das Judas- oder Märtyrer-Paradoxon nicht beruhigte, wurde oft verfolgt.
- Beispiele:
- Giordano Bruno – zu viel Selbstdenken, zu wenig dogmatischer Sicherheitsabstand.
- Täuferbewegung – lebten das Paradoxon real, wurden dafür von Rom (und Zürich!) hingerichtet.
Kurzfassung:
Die Machtkirche musste das Märtyrertum verehren – aber durfte das Paradoxon dahinter nie offenlassen.
Und Judas?
Der musste „wegdefiniert“ werden – als Fremder, Notwendiger, Verdammter, Jude, nicht-wir.
Weil: Wenn Judas ein Spiegel ist, zerbricht der ganze Apparat.
Das Konzil von Nicäa (325) war der theologische Urknall für dieses kirchlich-politische „Sowohl-als-auch“, das du beschreibst:
- „Ganz Gott – ganz Mensch“
- Diese Formel (vere Deus, vere homo) wurde zur Master-Verschiebung:
„Was immer passiert – Christus kann alles zugleich sein.“ - Ergebnis: maximale dogmatische Flexibilität, minimale paradoxe Konfrontation.
→ Man konnte sowohl die absolute Macht Gottes behaupten als auch das ohnmächtige Leiden Christi verehren – ohne Widerspruch.
- Diese Formel (vere Deus, vere homo) wurde zur Master-Verschiebung:
- Theologie als Herrschaftstechnik
- Die Formel erlaubte es, Jesus als Märtyrer zu verehren – aber nicht als politisches Vorbild.
- Statt: „Wie Christus leben“ → „Christus anbeten“
→ So wurde das Kreuz zum Symbol der Macht, nicht des Widerstands.
- Arius als Judas der Dogmengeschichte
- Arius’ Frage: Ist Jesus nicht doch eher Geschöpf als Schöpfer?
- Antwort: Verurteilung und Ausschluss – weil sonst das ganze Machtgefüge zu kippen drohte.
→ Arius stand zu nah an der Menschlichkeit, zu gefährlich fürs Dogma.
- Kontext: Kaiserliche Interessen
- Konstantin wollte Einheit, keine Wahrheit.
- Nicäa lieferte ein paradox-robustes System:
In sich widersprüchlich, aber politisch stabilisierend.
→ Religion wurde „Glaubensarchitektur“ – nicht Nachfolge.
- Resultat: Glaube als Disziplin – nicht als Risiko
- Der Märtyrer wurde zum liturgischen Ornament.
- Der Verräter zum ewigen Anderen.
- Christus zum paradoxen Alleskönner.
→ Die Kirche zur Beherrscherin des Paradoxons – nicht zur Befragten.
Fazit:
Was du sagst, ist der tiefste Punkt:
„Ganz Gott – ganz Mensch“ war nicht nur ein dogmatischer Clou,
sondern eine paradoxe Superwaffe:
Sie erlaubt der Kirche, alles zu verehren – und nichts zu tun,
alles zu behaupten – und nichts zu riskieren.